Mein persönlicher Hintergrund:
Ich bin im Iran geboren, war 15 als die Revolution begann. Die Revolution habe ich aktiv als Gymnasiast erlebt. Den Sturz des Schahs habe ich bewusst miterlebt. Ich habe der Ankunft Khomeinis entgegengefiebert.
Die letzten zwei Jahren meiner Gymnasialzeit bin ich an jedem Donnerstag hinter den Märtyrern vom großen Platz in Isfahan bis zum Märtyrerfriedhof gelaufen, war bei den großen Freitagsgebeten dabei und erlebte den ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak als Soldat.
Die Entstehung der damals paramilitärischen Organisation Basij habe ich im Rahmen der Bürgerwehr zum Beginn der Revolution als begeisterter Jugendlicher mitbekommen, bis hin zur darauf folgenden Rolle der Sepah e Pasdaran (Revolutionswächter).
Als Jugendlicher habe ich täglich die Zeitungen gesammelt und binden lassen, um ein Tagebuch der Revolution zu erstellen.
Nun bin ich seit 22 Jahren aus dem Land und doch verfolge ich jede Bewegung im Iran. In den letzten Jahren habe ich bisher zehn Exkursionen in den Iran durchgeführt und kenne das Land kulturell und geografisch sehr gut.
Meine These:
Meine These lautet, die aktuellen Ereignisse im Iran stellen eine Notwendigkeit auf dem Weg der Demokratisierung im Land dar und historisch-politisch betrachtet dient diese Situation dem Land mehr als sie ihm schadet.
Ausgangspunkt:
Mit dem Islam als politischer Faktor befassen wir uns im Iran offiziell seit 1501, seit der Entstehung der Safawiden-Dynastie. Der Islam wurde zur Staatsreligion und seitdem auch ein einflussreicher Faktor sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft. Die Safawiden haben ca. 200 Jahren regiert bis Mahmoud Afghan das Land an sich nahm und die Afghanen-Dynastie 1722 gründete. Nun hat es wieder 253 Jahren gedauert, bis Iran wieder das bekam, was er 1501 hatte, nämlich den Islam als Staatsreligion. Der Unterschied: wir befinden uns jetzt in der Moderne.
Die Geschichte Irans verlief immer unter einer politischen Gegebenheit, nämlich unter einer Ein-Mann-Herrschaft!
Monarchie war des Landes Schicksal.
Nun entstand 1979 zum ersten Mal in der Geschichte Irans eine Republik. Ausgerechnet eine islamische. Allein diese Tatsache stellt zwei Revolutionen für den Iran dar. Einmal herrscht zum ersten Mal politisch betrachtet nicht eine Herrschaftsfamilie und zum zweiten der Islam mit einer modernen Herrschaftsform, nämlich der Republik.
Die Wahl des Islams als ein politisches System war für Iraner die Rückkehr zu ihrer Glaubenswurzel, zum eigenen ICH, um dadurch den Weg zur Demokratie zu ebnen.
Historisch betrachtet behaupte ich, dass die Islamische Republik für Iran nie das Ziel, sondern nur der Weg war. Das Ziel ist eine Demokratie losgelöst von Religion und losgelöst von einer Monarchie.
Bei den aktuellen Ereignissen kann man von zwei politischen Thesen ausgehen. Entweder sind diese Ereignisse ein punktuelles Geschehen und zwar ohne einen historischen Hintergrund oder sie sind als Folge der bisherigen Geschichte des Landes zu begreifen. Ich plädiere für die zweite These.
Die Republik ist gerade 30 Jahre alt. Eine Republik in einem Land mit 2500-jähriger Monarchie. In einem Land, in dem es fast nie Parteien gegeben hat. Selbst in dieser Republik gibt es offiziell keine politischen Parteien. Was wir eben erleben ist die Entstehung eines Mehrparteiensystems mit eigener Geschichte.
Eine Partei die nicht eben konstruiert wird, sondern Parteien, die durch Massen mit unterschiedlichen Ansichten entstehen.
In dieser Auseinandersetzung lernen die Menschen die Grundzüge der Demokratie.
Die Menschen haben die Möglichkeit zu begreifen, dass man in diesem Land nicht ein System von heute auf morgen ändert, sondern durch Wahrnehmen, Annehmen und Verändern.
Nach 30 Jahren haben auch die Exiliraner begriffen, dass man mit der Parole „Tod der Islamischen Republik“ nichts ändern kann. Man kann dadurch die Veränderungen nur verzögern.
Sie sind zum ersten Mal in Massen zur Wahlen gegangen. Das Ergebnis ist politisch-historisch betrachtet nicht wichtig. Wichtig sind die Haltung und die Ereignisse danach.
Vor fast fünf Jahren hat man mich gefragt, was glaubst du, wer die Wahlen gewinnen wird.
Ich habe geantwortet, ich hoffe zwar nicht, dass die Konservativen gewinnen, aber für die Zukunft des Landes halte ich es für eine bessere Lösung, wenn die Erzkonservativen die Macht übernehmen.
Die Entstehung der Reformisten war die erste „natürliche“ politische Entwicklung im Iran nach der Revolution. Nun aber waren gerade die Konservativen die Wächter der Ideale der Revolution und die Anwälte der Märtyrerfamilien, die Ihre Ideale als verloren betrachteten. Damit begann das Zweiparteiensystem in einem Ein-Gottes-Staat.
Die Reformisten haben die politische Macht 1997 mit Chatami erhalten aber die Konservativen hatten die Fäden durch Chamenei fest in der Hand. Das bedeutete die Schwächung der Reformisten, und die Bevölkerung glaubte an ihre Unfähigkeit.
Nun 2004 musste das Land sich „automatisch“ wieder zu den Normen der Revolution besinnen, zurück zu den revolutionären Wurzeln, um später zu begreifen, dass die Ideologie alleine niemanden satt macht.
Zwei Monaten vor den Wahlen war ich im Iran. Eine Ärztin hat mich nach meiner Meinung zu den Wahlen gefragt. Ich sagte, für die Zukunft des Landes hoffe ich auf einen Gewinn der Konservativen. Denn die Wähler brauchen mindestens zwei Wahlperioden, um die Misserfolge der Konservativen zu begreifen und das wahre Gesicht der Ultra-Orthodoxen zu erkennen.
Nun, heute haben die Konservativen an sich mit ihrem Verhalten (nennen wir es vorsichtig Wahlbetrug) dem Volk den besten Dienst erwiesen.
Sie haben die Spaltung der politischen Kräfte beschleunigt.
Die Parteienbildung entwickelt sich schneller und selbst wenn die Reformisten diese Auseinandersetzung gewinnen würden, würden auch sie sich nach einer Machtübernahme erneut spalten, so wie heute schon der konservative Lager sich spaltet.
Die jungen Menschen haben 1997 ihr Stimmrecht wahrgenommen und es gewann Chatami. Die erste Erfahrung mit der selbst gewählten Regierung führte zur Frustration, weil es ihnen an politische Erwartungen fehlte. Daher haben sie 2004 die Wahlurnen vermieden und die Folgen ihres Nichtwählens wiederum mit der Wahl Ahmadinejads erfahren müssen. Diesmal haben fast 85% der Wähler ihr Stimmrecht wahrgenommen. Die Folgen sind uns bekannt.
Und damit zurück zu der am Anfang erwähnten These, dass die Ereignisse heute eine notwendige Folge der politischen Entwicklung im Iran sind und, dass sie dem Land mehr nützen als sie ihm schaden. Darum sollten wir die Ereignisse, wie schlimm sie auch sind, historisch als einen positiven Schritt zur Demokratie im Land betrachten.
Perspektiven:
Selbst, wenn „die Partei Chameneis“ und Ahmadinejads (denn wir haben im Moment keine abschließenden Namen für sie) eine Weile an der Macht bleiben, sie werden auf viele Probleme des Landes keine Antwort finden. Denn dieses Land kann nur regiert werden, wenn die politischen Kräfte lernen miteinander demokratisch umzugehen.
Heute haben wir in diesem Land keine politische Alternative als Antwort auf die islamische Republik. Wir müssen aus dem bestehenden System etwas Neues bauen.
Dazu gehört, dass man nie vergisst, dass es im Iran auch Ultrakonservative als einen politischen Faktor gibt. Wenn man mit ihnen nicht demokratisch leben kann, muss man nicht erwarten, dass die Konservative auf einer demokratischen Grundordnung mit anderen umgehen.
Die Wechselwirkung nach Außen
An dieser Stelle vertrete ich die These, dass das, was Iran als politische Entwicklung (oder besser gesagt: Erfahrung) hinter sich hat, haben Länder wie Afghanistan, Türkei, Ägypten, Libanon und einige mehr vor sich.
Hätte jemand aus der Zeit der Französischen Revolution behauptet, jene Revolution würde Europa veränderen, man hätte ihn für verrückt erklärt.
Aber warum soll diese politische Veränderung im Iran nicht auch die Region als ganzes (positiv) beeinflussen?
Wäre sie ohne Einflusspotential, müsste die Begegnung des Westens mit der Islamischen Republik anders aussehen.
In den letzten 30 Jahren haben wir sehr oft über den Export der Revolution gehört. Die Bewegung der Ideen – hat ja uns die Geschichte gezeigt – lässt sich nicht aufhalten.
Wir im Westen müssen lernen, Kriege zu vermeiden, auf die in der Region vorhandenen Fragen auch die richtigen Antworten zu finden, auch wenn sie uns nicht gut tun und uns nicht schmecken.
In Algerien hat man die von Innen entstandene (islamische) Bewegung gestoppt, um das Land noch weiter unter Kontrolle zu halten. Der Preis dafür war auch staatliche Gewaltherrschaft, die toleriert wurde.
Damit hat man nur die geschichtlich notwendige Entwicklung verzögert aber nicht gestoppt.
Beispiele sind zahlreich, aber die Region des Nahen und Mittleren Ostens wird so lange nicht zur Ruhe kommen, bis die Menschen ihren eigenen Entwicklungsweg gehen, um dadurch ein eigenes demokratisches Ziel zu finden.
Setzen wir das Wohl des Menschen als Endziel unseres Tuns und Handelns, müssten wir merken, dass seit 2003 im Irak mehr als 300.000 Zivilisten getötet sind. Allein in den letzten zehn Tagen mehr als 250 Tote.
Darum haben die Iraner gelernt, dass eine Veränderung nicht von Außen, sondern von Innen kommen sollte. Denn, wer von Außen kommt, kommt nicht nur, um Demokratie zu bringen, sondern, um den Gewinn mitzunehmen.
Und dieser Prozess, nennt sich politische Wechselwirkung in der Region, wobei andere auf den Iran schauen und Iran auf die Anderen.