Häufig wird darüber gerätselt, warum Migrantenkinder häufiger ihren Schullaufbahn mit Hauptschul- oder Realschulabschluss beenden. Warum bedürfen Migrantenkinder im Übergang von Schule zum Beruf häufig die Instrumente der geförderten Ausbildungsplätze?
Wie so oft bei sozialen Fragen gibt es mit Sicherheit auch hierfür nicht nur einen Grund. Die Gründe sind selbstverständlich vielfältig. Darüber lässt sich in der Literatur viel finden.
An dieser Stelle möchte ich auf einen Grund eingehen, der aus meiner Sicht weniger Beachtung findet.
Ein Grund, warum die Migrantenkinder seltener den Weg zu einem Abiturabschluss oder einer Hochschule finden liegt in der Diskrepanz zwischen "Intelligenz", "Wissen" und ihrer "Output-Fähigkeit". Also Sprachfähigkeit.
Wenn ein Abiturient aus Afrika, Asien oder sonst woher nach Deutschland kommt, der kaum die deutsche Sprache beherrscht, ist diese Diskrepanz besonders gut zu beobachten.
Wenn man über den Wissenstand eines Abiturienten verfügt, ihm jedoch die sprachlichen Fähigkeiten fehlen, sich diesem Wissenstand entsprechend zu artikulieren, wird es verstärkt durch vorhandene Vorurteile in der Gesellschaft, die fehlende Sprachfähigkeit dem fehlendem Intelligenz und Wissen gleichgesetzt.
Neulich beschrieb ein afrikanischer Freund dieses Phänomen wie folgt:
Er war der Ansicht, dass hierbei ein Unterschied zwischen den angelsächsischen Ländern und dem deutschsprachigen Raum gibt.
Er meinte, in englischsprachigen Ländern, wie die USA, England usw. wenn du als "Migrant" sprichst, achtet man darauf, was du sagst, während man in Deutschland darauf achtet, wie du etwas sagst. Also es geht hier weniger um die Inhalte, vielmehr um die Äußerungsformen.
Vielleicht könnte man die Gründe für diesen Unterschied durch eine tiefenpsychologische Erklärung plausibilisieren. Das ist aber weder meine Aufgabe noch liegt dies in meiner Kompetenz.
Aber einfach ausgedrückt, finde ich diese Aussage der Wahrheit und meiner persönlichen und langjährigen Erfahrung sehr richtig!
Bei meiner Arbeit habe ich zum Teil täglich mit über 30 Mails zutun. Diese kommen aus allen Richtungen. Überwiegend von Deutschen ohne Migrationshintergrund. Hin und wieder finde ich Äußerungen, die stark auf einem lokalen Dialekt basieren, die in einem offiziellen amtlichen Schreibens nichts zu suchen haben. Öfters finde ich auch nicht nur Tippfehler, die noch zu erklären sind, ich sehe auch einige grammatikalische Fehler. Darüber spricht jedoch niemand. Den Sinn kann man verstehen, also es ist auch in Ordnung.
Wenn ich aber einen Text schreibe, sieht die Sache anders aus.
Ich habe es sehr oft ausprobiert.
Ich schreibe einen Text, gebe ihn einem Freund zur Korrektur. Da wird manches nach rechts und links geschoben. (Die Tippfehler erkennt ja mittlerweile das Wordprogramm, aber auch zum Teil die Grammatikfehler. Ich glaube aber nicht, dass Microsoft diese nur für die Migranten in seinen Programmen implementiert hat.)
Den korrigierten Text gebe ich einer zweiten Person. Diese stellt wieder einiges um. Eine Korrektur durch eine dritte Person sieht wieder nicht anders aus. Auch zum dritten und gar zum vierten Mal wird der Text umgestaltet. Die Äußerungen geändert, denn man äußert vieles angeblich in Deutsch anders, als ich es getan habe.
Es gab Zeiten, wo ich mich über diese Erfahrung sehr geärgert habe, denn es bleibt am Ende wenig von meiner persönlichen Aussage übrig.
Ich sehe öfters in den beruflichen Sitzungen, Konferenzen, Tagungen, Menschen die aus Baden-Württemberg oder Bayern oder Österreich stammen. Wenn sie reden bräuchte man wahrlich ein Wörterbuch. Aber wenn ein Migrant redet, einer aus der Türkei, Ägypten, Kongo oder aus dem Iran, wie grammatikalisch auch korrekt, es kommt einfach anders beim Publikum an. Denn die Aufmerksamkeit bezieht sich sehr oft nicht auf den Inhalt, sondern auf die "fremde Form".
Manchmal frage ich mich, wenn diese Form in einer intellektuellen Schicht so eine Auswirkung hat, wie wirkt es sich auf der Ebene der Haupt- und Realschulen aus?
Sehr oft werden Migrantenkinder, die als Kind nach Deutschland einreisen und unter Schulpflicht stehen, sofort in die Schule geschickt, ohne eine vorangegangene Sprachförderung. In der Theorie gibt es solche Sprachförderungen, in der Praxis funktionieren sie nicht. Es gibt sehr oft gar keine Förderung, obwohl die Schulen dazu verpflichtet sind. Die ein bis zwei Stunden Förderung reichen nicht mal für die grundlegenden Fragen in der Sprachförderung aus.
Die Kinder besitzen zwar eine höhere Intelligenz, diese können sie jedoch nicht zeigen. Sie werden isolierter, werden weniger in den Unterricht mit einbezogen und sie werden mit jedem Tag frustrierter, bis sie irgendwann selbst aufgeben, sich zu bemühen.
Das Ende des Liedes: In der Schulkonferenz wird entschieden, dass dieser Jungendliche nicht fürs Gymnasium in Frage kommt. Also Hauptschule! Die Folgen sind uns bekannt.
Das Problem? Sie können in jeder Stadt, in jeder Schule mit jedem kommunalen Politiker reden. Es wird immer behauptet, der Förderunterricht ist da. Aber was sie nicht wissen, ist, dass ein Förderunterricht neben einer laufenden Schulunterrichts wenig bewirkt. Denn die Kinder müssen in einem reißenden Fluss mit schwimmen, aber neben bei müssen sie auch erst Schwimmen lernen, ohne beim regulären Schwimmen zu ertrinken.
Mein Appell an die Gesellschaft ist:
Achtet bitte viel mehr auf die Inhalte, als auf die Formen.
In vielen anderen Sprachen gibt es eben kein Artikel. Das muss man erst verstehen, dass es "ein Artikel", "eine Artikel", "einen Artikel", "einem Artikel", "eines Artikels" oder "einer Artikel" heißt.
Ein Mensch in erwachsenen Alter wird es eben nicht leicht den Unterschied zwischen "Übernehmen", "Unternehmen", "Mitnehmen", "Abnehmen", "Zunehmen", "Aufnehmen", "Zusammennehemen" usw. begreifen.
Das braucht Zeit, manchmal viel Zeit.
Öfters rate ich meinen deutschen Kollegen und Freunden, natürlich auch Kolleginnen und Freundinnen, sowie Beraterinnen und Berater, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Ratsuchenden und Ratsuchende, Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger, Arbeitslosengeldbezieherinnen und Arbeitslosengeldbezieher, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (…) dazu, sich einmal mit einem Onlinetest Deutsch als Fremdsprache im Internet auseinander zu setzen. Sie sollten einmal ihre Deutschkenntnisse so, ohne dass jemand über ihre Schultern zuschaut, ohne Angst vor Blamagen einen Test durchführen. Sie werden sehen, in welchem Absurdesten man sich manchmal befindet.
Wenn das fehlende Interesse an eine politische Mitwirkung der Migranten kritisiert wird, sollte man einmal eine Rede der Bundeskanzlerin, eines Ministers auf sprachliche Verständlichkeit überprüfen. Dann möchte ich sehen, wie viel davon selbst die Deutschsprachigen verstehen, geschweige von Migranten.
Also kurz gesagt, Sprachfähigkeit ist kein Indikator für Intelligenz. Manchmal fühle ich mich wie die Hauptdarstellerin im Film "das Piano". Ich will spielen, aber mir fehlen die Finger und ich versuche mit einer Prothese Klavier zu spielen. Das was als Musik in ihr Kopf und in ihr Herz läuft, wird sie nie durch ihre Prothesen rüberbringen. Darunter leidet die Musikerin, aber auch der Zuhörer.
Dabei resigniert die Musikerin, aber der Zuhörer verpasst vielleicht eine Welt-Komposition, weil er nicht die Fähigkeit besitzt, die Inhalte der durch Prothesen geäußerten Musik zu beachten.
Onlinetest finden Sie u.a. auch hier:
http://www.goethe.de/cgi-bin/einstufungstest/einstufungstest.pl
http://sprachtest.cornelsen.de/einstufung/index.aspx