Bereits vor zehn Jahren im Rahmen eines Seminars mit dem Titel „Islam als
politischer Faktor im 21. Jahrhundert“ und in einem Seminar mit dem Titel
„Die Geschichte des Nahen- und Mittleren Ostens nach dem 2. Weltkrieg“ habe
ich die These aufgestellt, dass das, was Iran mit der „Islamischen
Revolution“ hinter sich hat, Länder wie Ägypten, Syrien, Irak, Saudi-Arabien,
Tunesien, Jordanien und vor allem die Türkei noch vor sich haben.
Zu sehr haben westliche Mächte auf die vorhandenen Herrschaftskräfte
gesetzt, um ungeachtet der Demokratie, Menschenrechte und wirtschaftlicher
Gerechtigkeit, ihre eigene Interessen zu sichern und weiterhin über die Ressourcen
der Länder zu verfügen.
In Algerien hat man die islamische Bewegung mit Gewalt unterdrückt, die
Wahlgewinne der islamischen Kräfte missachtet und mit Hilfe des Militärs
jeden Ruf nach Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie in den Ländern im
Keim erstickt.
Wer sich einmal mit der Geschichte auseinander gesetzt hat, müsste wissen, dass
man den Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung auf die Dauer nicht unterdrücken
kann. Man kann Menschen verhaften, foltern, ermorden, aber Ideen werden
dadurch nicht vernichtet. Ideen stecken in den Köpfen der Menschen, und
bekanntlich kann man nicht hinter die Stirn des Menschen schauen.
Heute gehen die Menschen in Tunesien und Ägypten auf der Straße. Die bisherigen
Herrschaftsfiguren, für die im Westen immer der Rote Teppich ausgerollt
wurde, stehen am Ende ihrer Herrschaft und die westliche Staaten werden wie
immer in der Geschichte, sie nicht unterstützen, denn sie müssen auf neue
Figuren in diesem Schachspiel setzen, um dadurch ihre Interessen auch in
Zukunft bewahren können. Eines werden sie weiterhin mit aller Macht zu
verhindern versuchen: den Machgewinn der islamischen Kräfte in diesen
Ländern.
Dies wird aber längerfristig nicht möglich sein, wie man auch an den Geschehnissen
im Iran gesehen hat.
Eine islamische Revolution ist auch in diesen Ländern eine unaufhaltbare
Entwicklung. Man kann sie kurzfristig aufhalten, aber nicht dauerhaft.
Der Grund?
Der Islam ist in seinem Wesen ein politischer Faktor. Mit dem Islam leben die
Menschen seit ca. 1400 Jahren. Mit einer Religion, die eine Trennung
zwischen sich und dem Staat nicht vorsieht. Daher wird sie auch für die
Menschen in diesen Ländern, die seit Jahrzehnten durch Kolonialismus,
Quasikolonialismus und Familienherrschaften unterdrückt und unterentwickelt
sind, für die Menschen, die keinen Anteil an den Ressourcen des eigenen
Landes haben, als einzige politische Lösung infrage kommen.
Manche politische Entwicklungen sind gleich individuelle Erfahrungen, die
jeder Mensch machen muss, um dadurch zu wachsen. Eine eigene Erfahrung mit
dem Islam als politischer Faktor ist in allen diesen Ländern eine
unabdingbare und unaufhaltsame Entwicklung. Erst dadurch wird die Basis
für eine demokratische Entwicklung geschaffen. Demokratie bedeutet die
Akzeptanz anderer Meinungen, der Mehrheitsmeinung. Aber wie hätten die
Menschen in diesen Ländern dies erfahren und lernen können? Welche Basis
gab es bisher dafür?
Die Frage, ob dies dann durch eine islamische Herrschaft möglich sein wird
oder nicht, bleibt erstmal für die Menschen uninteressant. Sie sehen den
Islam als einen Weg zu einer Herrschaft des Volkes. Ob dies der Fall sein
wird oder nicht, steht vor einer Revolution nicht in Frage. Auch ein Iran
als vorhandenes Beispiel kann die Menschen in anderen Ländern davor nicht
bewahren, eigene Erfahrungen machen zu wollen. Wobei im Iran die Entwicklung der Demokratie
nach der Revolution noch in den Kinderschuhe steckt.
Schon Anfang der 90er-Jahre habe ich in einem Seminar erwähnt, dass die
Westmächte niemals ein ernsthaftes Interesse an eine Demokratie in den Ländern
des Nahen- und Mittleren Ostens haben können. Denn aus einem demokratischen
Iran, Irak, Saudi-Arabien usw. kann kein billiges Öl fließen. Wenn die
Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können, werden sie die Fremdnutzung
ihrer Ölfelder nicht zulassen, da die Nutznießer dessen nur wenige Familien
und vor allem westliche Staaten sind.
Für einen dauerhaften Frieden in dieser Region ist es daher sehr wichtig,
einmal die Realität wahrzunehmen, indem man die islamischen Kräfte ernst
nimmt, sie an politischer Partizipation teilnehmen lässt und die
Gewaltherrschaft nicht mehr unterstützt. Die Moslem in diesen Ländern werden ihre
eigene Erfahgungen mit dem Islam als poltischer Faktor machen wollen, bzw. müssen.
So wie ich Ende der 90er in einem Vortrag mit dem Thema „Entstehung und
Entwicklung der Demokratie im Iran“ dargelegt habe, ist aus meiner Sicht die
Voraussetzung des demokratisches Denkens im Iran gerade wegen der
„Islamischen Revolution“ und islamischen Staatsidee mehr gegeben als je zuvor.
Denn die Menschen im Iran beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit einem
Teil von sich, nämlich ihrem Glauben als politischer Faktor. Sie werden es
erleben, ob ihre Religion als Staatsform in der Lage seien
wird, für die Probleme des Landes und für eine wahre Beteiligung des Volkes
zu sorgen oder nicht. Wenn nicht, dann sind die Menschen um eine Erfahrung
reicher. Eine Erfahrung, die sie machen müssten, um Demokratie ausleben zu
können.
Der Aufstand der Iraner gegen den Schah war ein notwendiger Schritt zu einer
politischen Selbstwahrnehmung. Die Auseinandersetzung mit der Islamischen
Republik ist eine Fortsetzung desselben, aber auf keinen Fall ein Ende. Wir
sind im Iran heute Zeuge der Entstehung eines Mehrparteiensystems. Etwas, was
durch die ultrareligiöse Kräfte zu verhindern versucht wird. Aber aufhalten
können sie diese Entwicklung nicht.
Diese Erfahrung werden auch die Menschen in den o.g. Ländern machen müssen,
um dadurch politisch wachsen zu können. Man kann sie mit Blutvergießen nach hinten schieben,
aufhalten kann sie jedoch nicht.
(Gedanken aus politisch, wissenschaftlicher sicht)